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Nachhaltiges Bauen

Wie spielen Hersteller, Architektur und Bauträger zusammen? Die PROPSTER Sonderwunsch Meister GmbH veranstaltete dazu am 25.2.2021 eine Diskussion.  Heinrich Schuller sprach zum Thema Nachhaltigkeit.

Nachhaltiges Handeln heißt, Verantwortung für das Wohlergehen der Gesellschaft zu übernehmen. Das ist zwar löblich aber bisher selten betriebswirtschaftlich rentabel. Wenn ich mich ökologisch verantwortlich verhalte, ist das meist kurzfristig mit Mehrkosten verbunden. Langfristig ist es meist billiger ökologisch zu handeln. Eine Solaranlage kostet kurzfristig viel, hat sich aber innerhalb von maximal 10 Jahren refinanziert. Uns allen ist aber das Hemd näher als der Rock, weshalb es schwerfällt, den langfristigen Gewinn zu sehen.

Will ich erreichen, dass Unternehmen nachhaltig handeln, muss es einerseits gerecht zugehen – setzt man sich als einziger ein, fühlt man sich leicht verarscht – anderseits muss der eigene Benefit spürbar sein. Bemühe ich mich um Klimaschutz und verzichte dafür auf Flüge, aber der Nachbar jettet durch die Welt und rühmt sich seiner tollen billigen Reisen, verliere ich die Lust an der Klimarettung. Wenn der Nachbar allerdings einen entsprechend hohen, der Umweltschädigung angemessenen Preis für seine Reisen zahlen muss, wird ihm das viele Reisen vielleicht vergehen. Ich möchte für mein nachhaltiges Handeln also entsprechend belohnt werden.

Diese Gerechtigkeit kann nur die Politik herstellen. Der Kapitalismus allein erreicht das nicht. Deshalb treten junge Menschen dafür ein, erstens die Warnungen der Wissenschaft ernst zu nehmen, und andererseits die Regeln so zu verändern, dass Ausbeutung und Verschwendung nicht mehr rentabel sind. Die Verantwortung für umweltschädigendes Verhalten kann auch nicht allein dem Einzelnen übertragen werden. Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Deshalb ist es so wichtig, dass Nachhaltigkeit zum ersten politischen Prinzip weltweit wird, eines der wichtigsten Ziele des Pariser Klimaabkommens.

Diagnose:

  • Diskrepanz ÖKOLOGIE und ÖKONOMIE

    Alle reden von nachhaltigem Bauen als Notwendigkeit. Die Grundstücks- und Immobilienpreise sind auf einem nie gekannten Niveau. Die Aufgabenstellung ist daher, Nachhaltigkeit zu bauen, aber die Preise nicht noch weiter zu steigern.

  • Diskrepanz INNOVATION und TRADITION

    Die Baubranche ist eine der innovativsten und gleichzeitig eine der schwerfälligsten. Medial gepushte Leuchtturmprojekte täuschen darüber hinweg, dass die Gewinnmaximierung beim Bauen Innovationen bremst. Gleichzeitig ist das Gewinnstreben einer der stärksten Motoren neue Wege zu gehen. Ohne Motor kein Start.

  • Diskrepanz PRIVATWIRTSCHAFT und GEMEINWOHL

    Gemeinnützigkeit garantiert in Österreich seit langem sozialen Ausgleich und bleibende Leistbarkeit. Kapitalismus ist gleichzeitig Ursache von Wohlstand und Ungleichheit aufgrund der ungerechten Verteilung der Ressourcen und Schäden.

Lösungsansätze:

  • Gleichzeitig ÖKOLOGIE und ÖKONOMIE

    Das Ziel der Erhaltung sozial und ökologisch verträglicher Lebensräume steht außer Frage. Die Definition von Leistbarkeit wird sich in Zukunft durch gesetzliche Vorgaben und gesellschaftliches Bewusstsein an längerfristigen Horizonten orientieren, wodurch Technologien und Lösungen umsetzbar werden, die aktuell noch als unrentabel gelten.

  • Gleichzeitig INNOVATION und TRADITION

    Haben vor 50 Jahren Innovationen vielleicht 20 Jahre gebraucht, um marktrelevant zu werden, kann man diesen Zeitraum heute mit gefühlt 10 Jahren oder weniger feststellen. 10.000 Wärmepumpen wurden 2000 in Deutschland verkauft, 2020 sind es 140.000, Tendenz stark steigend. Gleichzeitig ist der Bau mit Ziegel auf Ziegel nach wie vor eine der beliebtesten Bauweisen, obwohl es effizientere und umweltfreundlichere Alternativen gibt.

  • Gleichzeitig PRIVATWIRTSCHAFT und GEMEINWOHL

    Der ökosoziale Umbau der Wirtschaft hin zu Klimaneutralität verfolgt das Ziel, die vorhandenen Ressourcen effizienter zu nutzen, gerechter zu verteilen, umweltverträglicher zu gebrauchen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür so zu setzen, dass der kreative Innovationsmotor der Wirtschaft nicht abgewürgt wird.

Konsequenzen für das Bauwesen

  • Bauen ÖKOLOGIE und ÖKONOMIE

    Umbau der Bauwirtschaft in Richtung Klimaverträglichkeit, Ressourceneffizienz, Natürlichkeit, Kreislauffähigkeit, Schadstofffreiheit, räumliche und soziale Qualität auf Basis eines breiten gesellschaftlichen Zielbewusstseins und geeigneter politischer Rahmenbedingungen.

  • Bauen INNOVATION und TRADITION

    Der Mensch verändert seine Bedürfnisse nur sehr langsam, tradierte Lebensmodelle bleiben über lange Zeiträume bestehen, weshalb Vorstellungen über menschengerechte Lebens- und Arbeitsräume sich kaum verändern. Die Architektur sollte sich an diesen grundlegenden Bedürfnissen nach geschützter Privatsphäre, sozialer Heimat, Naturnähe, Schönheit sowie kognitiver Abwechslung und intellektueller Anregung orientieren.

  • Bauen PRIVATWIRTSCHAFT und GEMEINWOHL

    Die Kunst jedes sichtbaren Bauwerks besteht darin, nicht nur die Bedürfnisse des Eigentümers oder Nutzers zu erfüllen, sondern sich der Gesellschaft gegenüber verantwortlich zu zeigen. Der Investor muss in die soziale und ökologische Pflicht genommen werden.

Nachhaltigkeit

1713 vom Forstexperten Hans Carl von Carlowitz erfunden. Nachhaltigkeit bedeutete für ihn, dass man nicht mehr ernten soll, als in der Natur nachwachsen kann. 1987 hat der Brundtlandbericht das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung definiert als Entwicklung, die die Bedürfnisse gegenwärtiger Generationen befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre Bedürfnisse nicht befriedigen können. Dabei gilt: Damit eine Gesellschaft nachhaltig ist, muss ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit beachtet werden. Es geht anthropozentrisch um den Erhalt der guten Lebensbedingungen für die Menschheit. Nachhaltigkeit ist ein natürliches Bedürfnis aller Menschen. Wir alle wollen, dass es uns und unseren Kindern gut geht.

Vernetztes Denken

Nachhaltigkeit ist nicht möglich ohne vernetztes Denken. Frederic Vester: „Die Kunst, vernetzt zu denken. Werkzeuge und Ideen für den Umgang mit Komplexität“: Neuland des Denkens: „Dort, wo  die Kybernetik seit eh und je funktioniert, in der vier Milliarden Jahren alten lebendigen Welt des biologischen Geschehens, bedeutet sie keineswegs detaillierte Vorprogrammierung oder zentrale Steuerung, sondern lediglich Impulsvorgabe zur Selbstregulation, Antippen von Wechselwirkungen zwischen Individuum und Umwelt, Stabilisierung von Systemen und Organismen durch Flexibilität, Nutzung vorhandener Kräfte und Energien und ständiges Wechselspiel mit ihnen.“ (S. 54, https://www.frederic-vester.de/deu/aktuell/)

Lebensdauer, Materialeffizienz

Der Lebenszyklus bildet den zeitlichen Rahmen zur Beurteilung der Nachhaltigkeit eines Gebäudes. Alle Phasen des Lebenszyklus müssen bei der Beurteilung der Nachhaltigkeit eines Gebäudes einbezogen werden.

Flächenverbrauch, Versiegelung, Biodiversitätsverlust

Seit vielen Jahren wird der Versuch unternommen, die kleinteilige Nutzungsmischung zur Attraktivierung und nachhaltigen Gestaltung von dicht bebauten Stadtgebieten zu forcieren. Die Trennung von Wohnen und Arbeiten, Ergebnis der Industrialisierung und Motorisierung der Gesellschaft, wird heute als überholt angesehen.

Räumliche Qualität im verdichteten Flachbau

Einfamilienhäuser gelten nicht ohne Grund als die beliebteste Wohnform im ländlichen Raum, gibt es doch wenig Beispiele für sozial und ökologisch hochwertige verdichtete Wohnformen, wie sie von Roland Rainer, Helmut Deubner oder Fritz Matzinger vor 40 Jahren gebaut wurden. Schutz der Privatsphäre, Möglichkeit der teilautarken Energie- und Nahrungsselbstversorgung, Fußläufigkeit, hohe sozioräumliche Qualität sorgten für sehr hohe Wohnqualität, fanden aber danach wenig Nachfolger.

Hochwertige flexible Gebäudetypologie

Gründerzeithäuser gelten bis heute als hochwertiger und beliebter Lebensraum. Die Funktionalität der Gebäude aufgrund der Flexibilität der Grundrisse, der Raumhöhen und der damit verbundenen Behaglichkeit trotz der nachweislichen thermischen Inneffizienz ist sehr hoch, weshalb diese Bauten als Vorbild für nachhaltiges Bauen gelten.

Energieeffizienz

Die Entwicklung hin zu energetisch hocheffizienten Gebäudehüllen durch Wärmedämmung, Passivhausentwicklung und Solartechnik hat dazu geführt, dass neue Gebäude heute nur mehr 5-10% des Energiebedarfs eines Gründerzeithauses haben und die Benutzer solcher Gebäude nachweislich gesünder leben. Diese Entwicklung setzt sich mit Begriffen wie Aktivhaus, Plusenergiehaus fort, durchdringt den Markt aber nur langsam.

EU-Gebäuderichtlinie 2010

Seit 2021 müssen alle Neubauten als NZEB gebaut werden. In Österreich wird als „Niedrigstenergiegebäude“ eines mit einem maximalen spezifischen Heizwärmebedarf von 25-30kWh/m²a angesehen. Weiters gilt: „Der fast bei Null liegende oder sehr geringe Energiebedarf sollte zu einem ganz wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen, einschließlich Energie aus erneuerbaren Quellen, die am Standort oder in der Nähe erzeugt wird, gedeckt werden“. Die Einschränkung, dass die Kosteneffizienz über die geschätzte wirtschaftliche Lebensdauer hinweg erhalten werden soll, bietet natürlich genug Möglichkeiten diese Richtlinie zu umgehen.

Erneuerbare Ausbau Gesetz

Als Beitrag zur Umsetzung der Klimaziele der EU hat sich die österreichische Bundesregierung zum Ziel gesetzt, die Stromversorgung bis 2030 auf 100% (national bilanziell) Strom aus erneuerbaren Energieträgern umzustellen und bis 2040 Klimaneutralität in Österreich zu erreichen. Innovative PV-Anlagen wie bspw. gebäudeintegrierte Photovoltaik erhalten einen Zuschlag von 30% auf den Investitionszuschuss.

Materialeffizienz Cradle to cradle

Die CO2-Belastung unserer Atmosphäre muss deutlich reduziert werden, wollen wir die Lebensbedingungen auf diesem Planeten erhalten. „Cradle to cradle – Von der Wiege zur Bahre“, das Konzept von Prof. Braungart steht für eine ganzheitliche Betrachtung von Produkten wie Gebäuden über deren Lebensdauer. Die Nutzung von klimafreundlichen möglichst unbearbeiteten Baustoffen wie Holz, Lehm, Kalk, Stroh, Hanf in einer recyclierbaren Form ist der einzig mögliche Weg dahin. Das impliziert, dass der Einsatz nicht trennbarer energieintensiver Verbundbauteile wie Stahlbeton radikal reduziert werden muss.

ATOS hat mit der Fa. Winterface bei einem Einfamilienhaus erstmals den Vollwärmeschutz nicht geklebt und gedübelt, sondern gehängt, so dass jedes Fassadenelement einzeln abgenommen und getauscht werden kann. Auch Fenster können bei diesem Haus zerstörungsfrei demontiert werden.

Smarthome

Natürlich ist es nachhaltig, wenn Energie effizient genutzt wird. Wenn Smarthome-Technologien dazu genutzt werden, die Energieflüsse in einem Gebäude zu minimieren, spricht nichts dagegen. Es besteht aber die Gefahr, dass der Energie- und Materialaufwand für diese Technologie höher ist als der Einsparungseffekt.

Smarte Architektur

Ich habe eine andere Sicht auf das Thema SMART als üblicherweise. Ist es smart, wenn ich eine Putzfassade durch einen Dachüberstand schütze, so dass diese länger schön bleibt und nicht veralgt? Ist es smart, wenn ich eine Haustüre aus Holz mache, die bei einem Schaden ausgebessert und neu gestrichen werden kann? Das geht mit einer pulverbeschichteten Aluminiumoberfläche eher nicht. Ist es smart, wenn ich die langlebige Gebäudehülle thermisch möglichst hochwertig mache, und die kurzlebigere Haustechnik möglichst billig? Ist es smart, ein Gebäude schön und komfortabel zu machen, so dass es von den Benutzern geschätzt und gepflegt wird, statt es so billig wie möglich zu bauen?

Grünes Bauen

In den letzten 30-40 Jahren hat sich die Anzahl der Hitzetage in Wien verdreifacht mit dem Effekt, dass der Absatz von Klimaanlagen boomt. Zurzeit gibt es weltweit laut IEA rund 1,6 Milliarden Klimageräte in Privathaushalten – etwa die Hälfte davon in Amerika und China. Die Vereinigten Staaten allein verbrauchten mit ihren Klimaanlagen so viel Energie wie ganz Afrika insgesamt.

Aktuell werden in Österreich 13ha pro Tag verbaut statt der angepeilten 2,5ha.  Davon werden im Durchschnitt etwa 40% versiegelt. 1950 betrug die Pro-Kopf-Quote ca. 200 m², 1995 bereits 400 m² und heute kommen auf jeden Österreicher 524 m² an Bau- und Verkehrsfläche.

Resümee

Nachhaltiges Bauen ist als Querschnittsmaterie nicht durch singuläre Maßnahmen zu erreichen. Die Gefahr besteht, dass gut gemeinte Einzelmaßnahmen ganzheitlich negative Wirkungen haben. So z. B. aufwendige und schwere Begrünungsmaßnahmen an Gebäuden, die klimaschädigende Stahlbetonbauweise und entsprechenden Energieaufwand für den Betrieb erfordern. Im Ausstattungsbereich kann vieles gemacht werden, was zur Reduktion der Umweltbelastung und Recyclingfähigkeit beiträgt. Zudem tragen möglichst natürliche Materialien im Innenraum zu gesünderem Raumklima bei.

 

DI Heinrich Schuller