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294 BAUMHAUS statt DACHBODEN

Aus jedem noch so unscheinbaren Entlein kann man einen stolzen Schwan machen. ATOS hat in Wr. Neudorf einem stinknormalen Einfamilienhaus aus 1960 ein Dachgeschoss verpasst, das ein völlig neues Wohngefühl entstehen lässt. Inmitten des vorhandenen Baumbestandes fühlt man sich jetzt wie in einem modernen Baumhaus.

Form follows function

Bei der Suche nach der besten Lösung darf nichts heilig sein. Sogar die vorhandene Betontreppe zum Dachboden wurde abgerissen und neu andersrum betoniert, weil es für die Funktionalität wichtig war. Der enge dunkle Vorraum wurde zu einer großen sonnigen Diele, von der aus man eine neue kleine Einliegerwohnung betreten kann. Ein barrierefreies Bad wurde geschaffen, das trotz Lage im Zentrum des Hauses sogar Tageslicht über eine umlaufende Oberlichte erhält.

Praktische Ideen, die umsetzbar sind, und den Wert sowie die Funktionalität eines Hauses heben, sind die Stärke von Architekten. Dazu gehörte auch der große Wohnessraum im Dachgeschoss, der über große Fensterflächen und zwei Balkone ein Gefühl der Weite ermöglicht. Ein Schlafraum, Arbeitsraum, Bad und WC ergänzen das Dachgeschoss, dessen Dach ostseitig als Steildach ohne Dachüberstand und über dem westseitigen Wohnraum mit einem weit auskragenden Flachdach ausgebildet ist. Highlight ist sicher die gläserne Überdachung des Stiegenaufgangs, die einerseits das Erdgeschoss besonnt, andererseits einen fantastischen Ausblick von der Küche im Dachgeschoss bietet.

Form follows energy

Beinahe selbstverständlich, dass konsequent wärmebrückenfrei gedämmt und die Haustechnik auf neuesten Stand gebracht wurde. Das Dachgeschoss besteht aus 28cm zellulosegedämmten Holzriegelwänden mit 6cm  Holzweichfaser-Putzträger sowie 1cm starkem Außenputz, der nicht zur Veralgung neigt und spechtsicher ist. Die Wände des Wohnraums bestehen aus 32cm Holzriegel mit einer vorgehängten Fassade aus naturbelassenen Rockpanel-Platten, die durch die changierende rostbraune Oberfläche einen sehr natürlichen Charakter behält. Dreifachverglaste Holz/Alu-Fenster im Wohnbereich und Kunststoff/Alu-Fenster in den anderen Räumen sorgen für geringstmögliche Wärmeverluste.

Das unterkellerte Erdgeschoss erhält innerhalb der nächsten Jahre ebenfalls neue Fenster und die noch fehlende nachträgliche Dämmung. Trotz vieler vorhandener Leckagen im Bestand gelang es, die Luftdichtheit auf knapp über 1,0 zu bringen. Beheizung, Belüftung und Warmwasserbereitung erfolgt mit einer hocheffizienten Luft/Wasser-Wärmepumpe der x² A9 der Fa. Drexel & Weiss, die seit Jahren die besten Geräte in diesem Sektor entwickelt.

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Form follows nature

Die Natur verschwendet keine Ressourcen und strebt nach einem ausgewogenen ökologischen Gleichgewicht. Dem versuchen wir nachzueifern und verwenden wo möglich natürliche Materialien. Das betrifft die Baustoffe ebenso wie Dämmstoffe, Verkleidungen, Beschichtungen und Beläge. Bei einem Detail gelang dies jedoch nicht, weshalb eine Prüfung durch das IBO notwendig wurde.

Die Betondecke über dem Erdgeschoss wurde nach Abbruch des Dachstuhls mit einer bituminösen Abdichtung bestehend aus Voranstrich und geflämmten Bitumenbahnen gegen Nässe geschützt. Nachdem das Dachgeschoss fertig war, war ein deutlicher Asphaltgeruch wahrnehmbar, der offenbar noch aus dem Voranstrich stammte. Zum Glück verflüchtigte sich der Geruch relativ rasch und die Messung ergab unproblematische VOC-Gehalte. Gelernt haben wir, dass poröse Betonflächen weit mehr Voranstrich aufnehmen als frische Betonflächen und daher wesentlich länger benötigen, um auszutrocknen. Achten  sollte man auch darauf, ob dieser Voranstrich seitens des Herstellers für Innenräume geeignet ist.

Form follows feeling

Der Bauch des Architekten gehört zu meinen wichtigsten Planungsinstrumenten. Aber auch die Bauherrn haben in diesem Fall sehr auf Ihre Bäuche gehört. Viele Entscheidungen wurden nicht spontan getroffen, sondern erst gefühlsmäßig abgetestet, bevor eine Freigabe erfolgte. Das mag mühsam klingen, ist mir aber lieber, als schnelle Entscheidungen, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie rational gefällt wurden, aber emotional nicht stimmig sind.

Oft sind die schlechtesten Entscheidungen jene, die unter Druck eines Handwerkers gefällt werden, der daneben steht und wartet. Deshalb versuchen wir, solche Entscheidungen bereits im Vorfeld gemeinsam mit den Bauherrn zu fällen, damit dann kein Stress entsteht. Stress ist meist kein guter Ratgeber. Bei diesem Umbau gelang es, gemeinsam mit den Eigentümern, einen stolzen Schwan zur Welt zu bringen. Das Haus entspricht jetzt der Qualität und dem Wert eines neu gebauten Hauses bei deutlich geringeren Kosten, wobei man zugeben muss, dass das Maß an Eigenleistung höher war, als bei vielen anderen Vorhaben.

 

Fotos: Michael Markl

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